Sprechen
über sichtbar Unsichtbares
Ich
sehe einen Vollmond, der nur ein Vollkreis ist. Ein Kreis ist.
Und
neben dem Vollmond da sitzt einer. Und hat eine Angel.
Und
noch mehr sehe ich nichts.
Oh.
Was ist denn da? Ein Hahn.
Das
war ein Zweig. Ein Spinnennetz. Zwei Augen ja. Mit dem Mund auf.
Wollen
wir weiter gehen?
Jesus
ist auch schon da.
Tote
Äste pflanzt man nicht? Hummeln sind zum retten da!
Marcel
grunzt. Er kann nicht sprechen. Nur verstehen. Wir sprechen über das
Sterben. Darüber, dass die Menschen aus Neuerkerode damals häufig
nur zu den Beerdigungen kamen, weil es Kuchen gibt.
Die
Pastorin erzählt uns von den Bestattungszeremonien, von der
Grabpflege der Gärtner, von den Freiwilligen aus dem Dorf, die den
Sarg dann in die Grube lassen. Draußen scheint die Sonne. Es ist
warm. Haben alle genug getrunken, frage ich mich. Hoffentlich ist es
für niemanden zu anstrengend. Doch alle hören gebannt zu. Nur
Veronika schaut zum Fenster, unterbricht aufgebracht: 'Da ist eine
Hummel.' Vorwurfsvoll fügt sie hinzu: 'Die will doch raus. Die
leidet.' Wir retten sie nicht, da das Fenster zu weit oben ist.
'Vielleicht wohnt sie ja hier', sagt jemand, um Veronika zu
beruhigen. Dann gehen wir an den Gräbern vorbei zurück zur Villa.
Alle sind hier in Neuerkerode sehr betroffen, dass ein Arzt aus dem
Dorf letzte Woche ganz plötzlich verstorben ist, erfahre ich auf dem
Spaziergang. Und Tobi wiederholt immer und immer eine Zeile, wie er
sie aus der Todesanzeige der Zeitung erinnert: 'So wie der Vater, so
der Sohn.'
Wir
sitzen beim Café und Doris, eine ehrenamtliche Mitarbeiterin aus dem
Hospiz-Verein berichtet vom Leben im Hospiz und dass es darum geht
den Menschen dort ihre letzten Wünsche zu erfüllen. Sie betreute
eine alte Dame, 'ihre alte Dame', der sie immer die Hand streichelte
und die es liebte frische Himbeeren zu essen und von ehemaligen
Schauspielern des Theaters zu schwärmen. Veronika hört gebannt und
voller Anteilnahme zu. Dann fragt sie: 'Wenn ich dort wäre, dürfte
ich dann auch Pommes mit Currywurst bekommen?' Und Tobias, der ganz
lange still gewesen war, fragt ebenso voller Anteilnahme: 'Und wer
mäht dort den Rasen?' Doris weiß auf alles eine Antwort. Später
erzählt sie dann auch von einem Kind, das bald sterben wird und
welches sie ambulant betreut. Es kann nicht sprechen, es kann sich
nicht bewegen. Es kann nur ganz leicht mit den Augen kommunizieren.
An Weihnachten hat es dann das erste mal gelacht. Ihr großer Erfolg!
Die über zwanzigjährige Cindy hört gebannt zu und knetet aufgeregt
ihre Hände gegeneinander. 'Wenn ich mal sterbe, möchte ich, dass
meine Eltern da sind.' Veronika fügt hinzu:' Das will ich auch.
Meine Mama ist aber schon tot. Mein Papa ist über achtzig.' Marcel
steht auf und versteckt sich. Er kann nicht mehr still sitzen.
Tobi
steht draußen vor der Villa. Steckt einen langen getrockneten Ast in
die Erde: 'Ich habe einen toten Baum gepflanzt. Aber der hilft den
Menschen nicht. Die Menschen können nur leben, wenn sie Bäume mit
Blättern haben, die Sauerstoff bringen. Aber es gibt viele dumme
Menschen, die das vergessen. Sie holzen einfach alles ab und wundern
sich, dass sie krank werden. Ich möchte eigentlich lieber richtige
Bäume pflanzen. Es geht ja um das Leben. Aber jetzt habe ich
trotzdem diesen toten Baum gepflanzt. Als Totempfahl. Der soll uns
daran erinnern, dass wir Bäume mit Blättern brauchen.'